Ein Duo mit Gitarrist und Sรคngerin? Kann da noch Spannendes kommen? Peter Autschbach und Samira Saygili gelingt mit ihrem neuen Album ein grandioser Beweis.
Singen!
Singen lรคsst Gefรผhle erleben, schafft Nรคhe und Kontakt. „Singen macht glรผcklich!“ schreiben Samira Saygili und Peter Autschbach im Begleittext ihres neuen Albums. Mit „Sing!“ ist nun das Duo zur Ehrenrettung des Singens in Pandemiezeiten angetreten. Und um es vorwegzunehmen: Das gelingt eindrucksvoll!
รber 50 Gesangsspuren wurden fรผr den Opener „In A Mellow Tone“ des Albums รผbereinander geschichtet. Harmoniereichtum, swingender Walking Bass, Solo โฆ alles mit den Stimmen der beiden Musiker fein verwoben. Gitarre? Kommt spรคter.
Zwei Musiker statt nur „Gitarre und Gesang“
Allgemein sind meist die Rollen in einem Duo fรผr Gitarre und Gesang nahezu statisch verteilt. Der Gitarrist, tatsรคchlich meist mรคnnlich, tobt sich begleitend und virtuos auf dem Griffbrett aus. Die Sรคngerin รผbernimmt Melodie, Performance und schreibt den Liedtext. Das ist weder verwerflich noch schlecht und zugegeben, es gibt Ausnahmen. Saygili und Autschbach sprengen hier aber gewohnte Grenzen grรผndlich. Der Dialog zwischen den beiden Musikern ist so eng verwoben, dass man als Hรถrer:in bei manchen Stรผcken schon mal den รberblick รผber Melodiefรผhrung und Begleitung verlieren kann.
Peter Autschbach ist ein hervorragender Gitarrist. Er war in den Pandemiemonaten ganz offenbar sehr fleiรig und hat vor Kurzem erst ein Album mit Joscho Stephan verรถffentlicht. Bei „Sing!“ intensiviert er seinen Gesang. Der Unterschied zur Stimme von Samira Saygili erzeugt beispielsweise im Stรผck „The World Is a Ghetto“ reizvolle Spannung und Gegensatz. Im mehrstimmigen Satz gewinnen die Songs durch Autschbachs Gesang an Tiefe.
Die studierte Jazz-Sรคngerin Saygili steuert im Album Percussionpassagen bei, imitiert Tierstimmen und greift nun bei Live-Auftritten auch selbst zur Gitarre. Ihre Stimme ist ausdrucksstark und glockenklar. Schwierigste Passagen meistert sie mit Leichtigkeit und grandioser Musikalitรคt.
Ideen fรผr das Repertoire werden im Duo gemeinsam entwickelt, Ideen ungefiltert gesammelt und probiert. „Wir spielen und singen, was wir wollen, ganz unabhรคngig von Erwartungshaltungen, Stil-Bedenken oder gar Marktmechanismen.“ beschreibt Samira Saygili die Zusammenarbeit.
Rundgang durch das Album
Hat die Playlist des Streamingdienstes das Album abgelรถst? Ein kleiner „Rundgang“ durch die Stรผcke des Albums beweist, dass es durchaus Sinn ergibt, sich auf die vorgeschlagene Reihenfolge der Songs einzulassen. Mit dem oben schon erwรคhnten „In a Mellow Tone“ beginnt das Album mit einem Duke Ellington Klassiker aus den 40er-Jahren als a Capella – Stรผck. „Lรกmour vrai“ nimmt schwungvoll Anlauf zum Titelsong „Sing!“. Wunderschรถne jazzige Melodielinien, unisono und mehrstimmig mit allerlei zusรคtzlichem Instrumentarium und Gerรคuschen schaffen dort ein berauschendes Klangerlebnis.
Der „Babasong“ legt einen ruhigen, harmoniereichen Teppich unter eine zarte Melodie. Die Komposition erinnert ein wenig an Ralph Towners Tonsprache. Ein groรes Kompliment! Auch bei „Starlight“ bleibt es in ruhigen Tempo, bevor es mit „Eine kleine Note“ und „Moll Akkord“ fast verspielt kindlich wird. Mit „Over the Rainbow“ gerรคt der vorletzte Song schon zur Zugabe und in „The Place to Be“ darf der Bass noch mal richtig loswalken und der Gitarrist seine Jazzskalen und -akkorde auspacken.
Singen? Hรถren!
Mit dem Album „Sing!“ haben die beiden Musiker fast nebenbei auch das Hohelied des Musikhรถrens gesungen. Musik trรคgt viele von uns durch die Pandemie. Erst recht, wenn sie so meisterhaft und gefรผhlvoll vorgetragen wird wie von Samira Saygili und Peter Autschbach.