Joe Pass – König der Gitarrenimprovisation

Foto: Tom Marcello Webster, New York, USA, CC BY-SA 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0, via Wikimedia Commons

Lichtes Haar und ein markanter Schnauzbart. Nicht nur äußerlich war Joe Pass eine Ausnahmeerscheinung. Er spielte Jazz mit unvergleichlicher Technik und verhalf der Soloimprovisation auf der Gitarre zu Höhenflügen. Dabei war sein Leben alles andere als ein durchgängiger Höhenflug. Eher eine Geschichte von Quälerei, Absturz und Auferstehung.

Gitarre, Tyrannei und Kindheit

Joe wurde 1929 als Joseph Anthony Pasalaqua in New Jersey als ältestes von fünf Kindern geboren. Die Zeiten waren rau. Sein Vater arbeitete als Stahlkocher, verlor aber während der Wirtschaftskrise häufiger den Job. Der väterliche Ehrgeiz war, dass sein Sohn nicht Stahlkocher werden müsse. Hierfür nahm er in Kauf, dass seine Erziehungsmethoden für seinen Zögling äußerst qualvoll waren. „Ich tue das, damit du kein Stahlkocher oder Kumpel im Bergwerk werden musst.“

Joe erhielt seine erste Gitarre mit neun Jahren. Die Legende sagt, dass Besitz einer ersten Gitarre mit einem Western zusammenhing. Aber Joe hatte wohl ein eher kreatives Verhältnis zur Wahrheit. „Ich erzähle so viele Geschichten darüber, und keine davon ist wahr. Ich habe auch schon mal erzählt, ich hätte einen Western mit Gene Autrey gesehen, wo er auf einem Pferd sitzt und Gitarre spielt. Daraufhin soll ich mir ein Pferd zum Geburtstag gewünscht, aber stattdessen nur eine Gitarre bekommen haben.“ Sicher überliefert ist jedoch der Preis des Geburtstagsgeschenkes mit 17$ und der erste Unterricht bei einem Nachbarn. Anders als Joes Vater hat der erste Lehrer jedoch Joes Talent nicht erkannt: „Vergiss es, der Junge lernt das nie!“

Joe überholte seinen Lehrer in kurzer Zeit, bekam Unterricht von einem guten Lehrer und geriet unter die Tyrannei seines Vaters. Täglich musste er nach einem festgelegten Plan sechs Stunden üben. Vor der Schule, nach der Schule und nach dem Abendessen jeweils zwei Stunden. Der väterliche Befehl lautete: „Spielen, spielen, spielen!“ Oder auch „Fill it!“, wenn Joe eine spontan gepfiffene Melodie des Vaters nachspielen und mit Akkorden unterlegen musste. Stapelweise mitgebrachte Klaviernoten und Nachmittage vor dem Radio, bei denen Joe Melodien und Stücke spontan nachspielen sollte, bildeten das tägliche Gitarrentraining.

Diese Quälerei hat einerseits natürlich die Grundlage für Joes außergewöhnliche Fähigkeiten in Improvisation, Gehör und Spieltechnik. Andererseits kam auch der Punkt, an dem die Gitarre wirklich gehasst hat. Welche seelischen Folgen eine Jugend ohne Spiel mit Gleichaltrigen und freier Zeit hinterlassen hat, lässt sich wohl nur erahnen.

„Ich war 12 und konnte improvisieren. Und meine Mitspieler gaben mir dafür jeglichen Raum.“ So beschreibt Joe Pass seine ersten Banderfahrungen. Mittlerweile spielte er auf einer Martin-Gitarre mit Tonabnehmer. „Eines der kleineren Modelle und ein sehr gutes Instrument.“

Drogen und Absturz

Als die Kontrolle des strengen Vaters wegfiel, holte Joe zügellos alles nach, was er versäumt hatte. Schon in jungen Jahren tingelte er durch ganz Nordamerika, spielte in verschiedenen Gruppen und war kaum wählerisch mit seinen Auftrittsmöglichkeiten. Michael Lohr schreibt in der AKUSTIK GITARRE: „Zwischen 1949 und 1960 war das Gitarrenwunderkind praktisch konstant high und lebte wie unter Betäubung am Rande der Gesellschaft.“ Joe Pass selbst sah diese Zeit im Rückblick als zehn verlorene Jahre. „Ich dachte, ich könnte mit Drogen ein Spielgefühl herbeirufen. Das war ein Fehler, denn man erreicht die meiste Produktivität, wenn man komplett nüchtern ist, weil man seinen Körper unter Kontrolle hat, und nur dann kann man die Musik die Kontrolle übernehmen lassen.“

Ende 1960, nach mehreren Gefängnisstrafen, einem Nervenzusammenbruch und Pleiten ließ er sich in die Drogenrehabilitationsklinik „Synanon Foundation“ einweisen. Er besaß nichts mehr, war körperlich am Ende und damals nicht mehr in der Lage professionell zu musizieren. Drei Jahre später, erstaunlich schnell, verließ er die Klinik clean und mit der legendären Aufnahme „Sounds of Synanon“ im Gepäck. Die Platte war künstlerisch und wirtschaftlich ein Türöffner. Joe Pass wurde wieder zu einem gefragten Gitarristen.

Die Jazz-Karriere und Spielweise

Zunächst ließ sich Joe Pass für fast alles engagieren. Werbung, Session, verschiedene Musiker und verschiedene Musikstile. Er folgte damit nochmals der Idealvorstellung seines Vaters vom „Handwerker auf der Gitarre“. Oscar Peterson ist es zu verdanken, dass Joe Pass dann doch wieder bei einem Jazz-Label unterkam. Ein Grammy, die legendäre Zusammenarbeit mit Ella Fitzgerald, eine Gitarren-LP mit Herb Ellis markierten den Aufstieg zu einer anerkannten Jazzgröße mit Mitte 40.

Als „Meister der Sologitarre“ etablierte er sich durch Livekonzerte und die von Norman Granz produzierten Alben „Virtuoso“. Das, was Joe Pass hier präsentierte war aufregend neu, aber es war keineswegs klar, dass dies Live funktionieren würde. Eine Gitarre, Jazzmusik über Standards zum Teil auf Zuruf improvisiert. Mehrere Stimmen, Walking Bass Linien, Akkorde und Melodie in einem zum Teil irrwitzigen Tempo miteinander verwoben. Der Mann an der Gitarre hatte nicht nur unglaubliche Fähigkeiten im Spiel, sondern auch eine scheinbar unerschöpfliche Fantasie im Erfinden von gewagten Melodielinien und abgefahrenen Harmoniefolgen. „Es ist wie Autofahren“, sagte er in einem Interview. Irgendwann kann man die Skalen, hat die Melodie im Kopf und kennt die Akkordwechsel und deren Alternativen. „Nur nicht nachdenken!“, war die Devise. Die Musik müsse selbst fließen.

You are the Sunshine of my Life

Obwohl es von Joe Pass auch Eigenkompositionen gibt, möchte ich seine Interpretation eines bekannten Steve Wonder – Hits vorstellen. Typischer als eigene Kompositionen waren die Improvisationen über Jazz-Standards. „Ich spiele den gleichen Titel nicht zweimal gleich“, sagte er.

You are the Sunshine of my Life ist 1970 erstmals erschienen. Bis heute ist das Stück sehr bekannt und unzählige Male interpretiert worden. Aber die Interpretation von Joe Pass ist einzigartig. Unabhängige Basslinien über faszinierenden Harmonien, durchbrochen von wilden Fill-Ins. Immer wenn man schon denkt „Nun hat der Ideenreichtum ein Ende“, fällt ihm noch etwas ein. Es gibt (mindestens) zwei aufgenommene Versionen.

Joe Pass starb im Mai 1994. Ich weiß nicht, was und ob etwas auf seinem Grabstein steht. „König der Gitarrenimprovisation“ wäre angemessen.


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