Hier kommen Hörempfehlungen für die noch langen Winterabende und darüber hinaus. Die neuen Alben von Andreas Schulz, Stefan Grasse, Jaques Stotzem und Karlijn Langendijk bieten alle hochprofessionelle und unbedingt hörenswerte Gitarrenmusik, sind aber stilistisch sehr unterschiedlich.
Andreas Schulz: Sketchbook 22/23
Der Mann ist Chefredakteur des Zentralorgans der deutschen Akustikgitarrenszene, Workshopleiter und Onlinelehrer. Wenn er dann noch aus dem eigenen Studio regelmäßig Alben in die Welt schickt – man würde ihm ob dieses Arbeitspensums den einen oder anderen Ausrutscher im neuen Album gnädig verzeihen. Aber nein, die Produktion ist perfekt, die Kompositionen sind inspiriert und das Gitarrenspiel vielseitig uns äußerst gekonnt. „Ich benutze das Studio mit all seinen klanglichen und technischen Möglichkeiten sowie die inspirierenden Beiträge meiner Gastmusiker wie ein einziges großes Instrument“, verrät er dem Redakteurskollegen Michael Lohr in der AKUSTIK GITARRE.
Dass dabei das Album nie steril überproduziert wirkt, ist dem Ideenreichtum und der Vielseitigkeit des Musikers Schulz zu verdanken. Hinter jeder Ecke schaut eine neue Idee hervor, ein neue Instrumentierung, ein neues Rhythmuspattern. Well done, Mr. Perfect!
Stefan Grasse: The Inner Sound
„Pulsierende Klanglandschaften“ baut Stefan Grasse in seinem neuen Album „The Inner Sound“ auf, verrät uns der Klappentext. Tatsächlich leben die Kompositionen von der Übereinanderschichtung von Harmonien, von sich wiederholenden Melodien und deren Weiterentwicklung im Stück. Die Stücke gewinnen so an Tiefe und Dynamik, sind meditativ und vielfältig zugleich.
Mike Oldfiels „Tubular Bells“ für Gitarre also? Minimal Music auf sechs Saiten? Der Vergleich hinkt natürlich, aber ins Gewürzregal dieser beiden Musikstile hat Stefan Grasse sehr gekonnt gegriffen!
Jaques Stotzem: Les souvenirs qui restent
Zweimal habe ich im letzten Jahr Jaques Stotzem live auf Konzerten erleben dürfen. Ein Mann – eine Gitarre! Hier wird nichts geschichtet und nicht an multiinstrumentalen Linien getüftelt. Der Meister kommt mit seiner Gitarre auf die Bühne und vermag allein damit und mit seinem hinreißenden Akzent das Publikum zu fesseln.
Auch auf seinem neuen Album ist er sich treu geblieben. Er nimmt die Melodie, findet schöne Harmonie dazu und trägt sie mit intensiver Spielfreude vor. Im Gesang seines Gitarrenspiels liegt viel Gefühl und Dynamik. All das kennen wir schon von 15 Alben vorher? Stimmt. Aber man kann sich daran nicht satt hören!
Karlijn Langendijk: Atlas
Nicht mehr ganz taufrisch ist das Album von Karlijn Langendijk. Schon im März 2022 hat sie ihr Soloalbum vorgelegt. Wer das bis jetzt verpasst hat, sollte dies unbedingt ändern und sich die 11 Kompositionen anhören.
Die 1995 geborene niederländische Gitarristin hat in Utrecht und Dresden studiert, stand mit Tommy Emmanuel und Peter Finger auf der Bühne und tourte durch Europa und Asien. Das Prädikat „Geheimtipp“ ist also nicht mehr korrekt vergeben.
Die Musik auf dem Album ist inspiriert durch Erfahrungen, die sie auf Reisen gemacht hat. Die müssen sehr unterschiedlich gewesen sein. Melancholische Harmonien wechseln mit lautmalerischer Songgestaltung und rhythmisch raffinierten Einwürfen ab. Und wer von der exzellenten Virtuosität noch nicht überzeugt sein sollte, der hört dann die „taufrische“ Einelveröffentlichung Armando´s Rhumba an.
Alle Hörtipps findet ihr auf der Spotify-Playliste von gitarre.blog. Das ist nur der Appetitanreger. Geht lieber in Konzerte und kauft CDs, Noten, MP3s, Kugelschreiber oder Fanbettwäsche bei den Musiker:innen direkt!