Die Kurzfassung der Geschichte geht ungefähr so: Ein junger Amerikaner lernt zunächst Klavier und Trompete. Er studiert Komposition. Weil ihm das nicht genug ist – und er vermutlich jetzt auch mal ein „richtiges Instrument“ lernen will – zieht er nach Wien und will bei einem berühmten Gitarrenprofessor als fast Anfänger auf der Gitarre Unterricht haben.
In Wien sperrt er sich in sein Zimmer ein, lebt wie ein Mönch und übt Tag und Nacht. Nach seinem erfolgreichen Studium wird er als Gitarrist und Komponist berühmt und entwickelt einen ganz eigenen unverkennbaren Stil.
Der Name dieses Verrückten: Ralph Towner
Becoming Ralph Towner
Die verschiedenen Lebenslinen spiegeln sich in Towners Musik bis heute. Das Klavier beeinflusst seinen Kompositionsstil stark: „Ich denke beim Gitarrespielen oft in Kontrapunkten. Fast so, als ob ich mehr als eine Person wäre.“
Und zum Studium bei Kart Scheidt sagt er: „Ein wundervoller Lehrer! Ich brauchte die Disziplin dieser Zeit:“ Der 1993 verstorbene Karl Scheit erlebt noch, wie sein ehemaliger Schüler zum gefeierten Musiker wird.
„Was ich aus meiner eigenen musikalischen Welt zusammengesetzt habe, ist eine Konstruktion unterschiedlicher Erfahrungen. Man kann die einzelnen Bauteile, die Einflüsse heraushören.“ sagt Towner über seine Musik.
Komponieren im Flug
Jazz und Klassik vereinen sich in Towners Spiel auf wunderbare Weise. Aus der Klassik kommt der Umgang und das Spiel auf der nylonbesaiteten Gitarre. Aus dem Jazz kommen die Harmonien und die Improvisation. Er bewundert den klassischen Gitarristen Julian Bream und den Jazzpianisten Bill Evans. Kein Wunder also, dass er Komposition und Improvisation auf der Nylonstringgitarre vollkommen neu zusammenbringt.
Er sagt: „Alles ist Improvisation, nichts wird je genauso wiederholt. Selbst die ausgeschriebenen Melodien werden jedes Mal anders interpretiert. Musik braucht Bewegung!“ Und weiter: „Wenn man gut spielt, wird der Zuhörer nicht merken, wo die Komposition aufhört und die Improvisation beginnt“.
Eine Gitarrenhymne: Anthem
Eines seiner bekanntesten Stücke zeigt seinen unverwechselbaren Stil deutlich.“ Interpretiert auf einer Nylonstring in klassischer Gitarrentechnik, eine wunderbare und einprägsame Melodie unterlegt mit Jazzakkorden und ein auskomponierten Teil mit einer Interpretation. „Anthem“ kann man mit „Hymne“ oder auch „Choral“ übersetzen. Das Stück hat lyrischen Charakter und klingt durch die Verwendung von Quinten und Quarten ohne Terz sehr offen zwischen Dur und Moll. Fast wie eine Anlehnung an alte Kirchenlieder. Towner spielt das Stück in langen Melodiebögen und zeigt seinen sensiblen Umgang mit den Klangmöglichkeiten der Gitarre gekonnt. „Die Gitarre ist ein so wunderbares Instrument mit unglaublich vielen Klangfarben!“ sagt er. Wer will da widersprechen?