Bluesman sind stets irgendwie down und haben viele unglückliche Frauengeschichten. Sie wachen früh auf und suchen wahlweise ihr Baby, ihre Gitarre oder ihren Verstand. Manchmal haben sie auch ihre Seele an den Teufel verkauft. Vor allem aber sind sie eines: Männlich!
Weg von den Baumwollfeldern
Was für ein Vorurteil! Also zumindest, dass Blueser immer männlich wären. Memphis Minnie wurde 1897 in Mississippi als Lizzie Douglas und als ältestes von 13 Kindern geboren. Sie bewies weit vor der emanzipatorischen Frauenbewegung, dass sie nicht nur eine außerordentlich gute Sängerin, Gitarristin, Songwriterin und Entertainerin war. Sie hatte ihre eigenen Vorstellungen und wusste diese auch durchzusetzen. Frauen spielten zu Glanzzeit Minnies zwar nicht selten Gitarre, waren aber schwerpunktmäßig für das häusliche Musizieren und die musikalische Erziehung der Söhne zuständig. Das war nichts für Minnie. Sogar der Name „Lizzie“ war ihr zu niedlich. Sie ließ sich lieber mit „Kid“ ansprechen.
Mit 11 Jahren bekam sie ihre erste Gitarre. Ein paar Jahre später führte sie das Instrument weg von den Baumwollfeldern der Familie. Statt Baumwollpflückerin wählte sie das Leben als Musikerin und ergänzte ihr Einkommen durch Sexarbeit. Ein trauriges, aber kein ungewöhnliches Nebeneinkommen weiblicher Darsteller zur damaligen Zeit.
Um 1900 herum wurde Musik zum allergrößten Teil Live gehört. Streaming, Radio, CDs und Platten waren noch weit weg. Bluesmusiker spielten überall dort, wo sie Gage oder Essen bekamen: Auf Hauspartys, Workcamps, in Kneipen und auf Straßen. Minnie zog einige Zeit mit einem Wanderzirkus durch die Gegend. Ein raues Leben für eine junge Frau!
Aber Minnie wusste sich gegen Angriffe und allzu plumpe Annäherungsversuche zu wehren. Ihr Auftreten war selbstsicher. Wenn Selbstbewusstsein nicht reichte, griff sie auch schonmal zur Waffe. Sie war gut im Umgang mit Messern, Pistolen, dreckigen Schimpfwörtern, Whiskey und Würfel. Legendär auch ihre Fähigkeiten im Kautabak spucken. Sie hatte wohl fast immer einen Becher zum Ausspucken bei sich und verzichtete auch bei Auftritten nicht auf das eher „männliche Ritual“ des Kautabakgenusses.
Gitarristisch war sie außerordentlich gut. „Sie spielt wie ein Mann!“, wurde ihr nachgesagt. Das war eine glatte Lüge, denn Männer dienten nicht einmal mehr als Referenzgrösse. Sie war besser! Dies bewies sie in mehreren Wettbewerben, in denen sie unter anderem gegen Big Bill Broonzy und Muddy Waters antrat und gewann. Die Legende erzählt, dass Big Bill seinen Kummer über die Niederlage mithilfe einer Flasche Whiskey verarbeitete.
Minnie hatte sich im Laufe ihrer Karriere eine überragende Fähigkeit zum Entertainment erworben. Sie spielte gerne mit ihren weiblichen Reizen und Doppeldeutigkeiten. Immer war sie perfekt gestylt, trug schöne Kleider und als Markenzeichen ein Armband mit eingearbeitetem Silberdollar. Der Dichter Langston Huges schrieb über ein Konzert: „Sie ist scharf gekleidet, ihre High-Heels schlagen den Takt zum Rhythmus. Ihre linke Hand mit den dunkelrot lackierten Nägeln bewegt sich auf dem Griffbrett rauf und runter. Ihre rechte Hand, geschmückt von ihrem Ring, zupft die Melodie, schlägt den Rhythmus, baut den Blues auf.“
Minnie und die Männer
Minnie und ihr späterer Ehemann Joe McCoy wurden von einem Talentscout für Plattenaufnahmen entdeckt. Da „Minnie“ als Name im damaligen New York sehr beliebt war, verpasste das Label ihr den Namen „Memphis Minnie“. Joe wurde als Star des Duos gesehen und die Platte enthielt ausschließlich von ihm gesungene Stücke. Minnies „Bumble Bee“ verstaubte zunächst und wurde erst zu einem ihrer bekanntesten Stücke, als eine andere Plattenfirma das Potenzial erkannte. Das Duo war außerordentlich erfolgreich und es wurde klar, dass Minnie in dieser Konstellation der eigentliche Star war. Eine Tatsache, mit der sich Joe McCoy schwertat. Es kam zur musikalischen und privaten Trennung.
Vier Jahre nach der Trennung und nach wechselnden Bandmusikern hatte Minnie einen neuen Lebenspartner gefunden. Wieder ein guter Gitarrist und wieder ein Joe. Minnie ließ sich auch von Son Joe die Butter nicht vom Brot nehmen. Die Legende sagt, dass sie ihn einmal vor den Augen des Publikums auf offener Bühne verprügelt hat. Dennoch hielt die Beziehung bis zu Son Joes Tod. Minnie war auch im neuen Duo das Zugpferd und Son Joe wurde, wohl aus Gründen des Marketings, auf einem Album sogar als „Mr. Memphis Minnie“ bezeichnet.
Ein Ende in Armut
Mitte der 50er-Jahre war die Musik Minnies nicht mehr in Mode. Zwar hatte sie noch Fans und Unterstützer, konnte aber nach dem Tod ihres Mannes und nach mehreren Schlaganfällen nicht mehr von der Musik leben. Als auch Rücklagen aufgebraucht waren und Zeitungen über ihre Notlage schrieben, erhielt sie Spenden von Lesern. Aber grundsätzlich änderte das nichts an ihrer Armut.
Beth und Paul Garon schreiben in ihrem Buch „Women with Guitar“: Sie hat ihre Gitarre nie hingelegt, bis sie sie buchstäblich nicht mehr aufheben konnte. Bis zu ihrem Tod 1973 lebte sie in einem Pflegeheim in Memphis.
Chauffeur Blues: Ein Prinz im Ford V8
Das Stück „Chauffeur Blues“ ist neben „Bumble Bee“ wohl die bekannteste Komposition. In der Erstausgabe wurde zwar Son Joe als Komponist genannt, aber sehr wahrscheinlich ist es Mephis Minnies eigenes Werk. Der Song wurde mehrfach gecovert, unter anderem von Jefferson Airplane. Tantiemen, schreibt der Blues-Autor und Historiker Thomas Millroth hat die verarmte Memphis Minnie jedoch nicht erhalten.
Minnies Musik hatte meist autobiografischen Hintergrund. So spiegeln sich im Text vom „Chauffer Blues“ die Wünsche nach einem Mann, der führt ( .. oder in diesem Fall eher fährt), sein Girl durch die Welt chauffiert und gleichsam wie ein moderner Prinz auf einem Ford V8 einreitet. Das weiße Pferd … Verzeihung … den Ford würde Minnie auch selbst beisteuern.
In der Mitte des Songs wiederholen sich gelernte Konfliktlösungsmuster (siehe weiter oben im Text). Denn ungemütlich wird es, wenn der Prinz auch andere Mädchen gut findet. In diesem Fall würde sie sich eine Pistole stehlen und ihn niederschießen. Damit ist dann letztlich doch klar, wer hier das Sagen hätte.
Egal, ob sie ihre Mordgelüste tatsächlich ausgelebt hätte – Memphis Minnie war eine bemerkenswerte Frau, eine besondere Figur der Musikgeschichte und eine großartige Gitarristin und Sängerin. Auf der Rückseite ihres Grabsteins steht ein wunderbares Kompliment: „Wenn wir Minnies Lieder hören, hören wir ihre Fantasien, ihre Träume, ihre Wünsche, aber wir werden sie hören, als ob sie unsere eigenen wären.“
Linktipps: memphisminnie.com
Artikel in der Guitar Acoustic 1/23