Liebe Leser,
neulich kam es mit meinem Pianisten beim Spielen des schönen Standards „Body & Soul“ von Jerry Green aus dem Jahr 1930 zu einer kleinen Diskussion. Mir kam seine Interpretation eines im Sheet notierten Edim7 (bzw. E07) nicht ganz korrekt vor. Wir zerlegten den Akkord und „sahen mal nach dem Rechten“. Und das Problem entpuppte sich als eine weitere kleine Unzulänglichkeit der Akkordsymbolschrift.
Jazzmusiker sind es gewohnt, prinzipiell in Vierklängen zu denken bzw. ebensolche grundsätzlich einzusetzen. So spielen wir Cmaj7, wenn wir einen notierten C-Dur-Akkord als Tonika oder Subdominante identifizieren, min7 für fast jeden Moll-Akkord und einen Dominantseptakkord für einen Dur-Akkord, der eben eine solche Funktion besitzt. Zumeist funktioniert das Hinzufügen der Septime zu Grundton, Terz und Quinte problemlos, zumal sie ja in den sogenannten Leadsheets des Jazz in den Akkordsymbolen notiert ist.
Heikel wird es bei halbverminderten und verminderten Akkorden. Nehmen wir zur Veranschaulichung Dmin7/b5 (auch als D∅ geschrieben) versus Ddim7 (auch D07 geschrieben):
Wir sehen hier sofort, dass sich die beiden Akkorde nur in ihrer Septime unterscheiden. Hat ein min7/b5-Akkord die Struktur 1-b3-b5-b7 (b3+b3+3 = kleine Terz+kleine Terz+große Terz), so ist es beim verminderten Akkord 1-b3-b5-bb7 (b3+b3+b3 = kleine Terz+kleine Terz+kleine Terz).
Und dieses durchaus erhebliche Detail geht nicht aus dem Akkordsymbol hervor. In der Akkordsymbolschrift steht nämlich die blanke 7 für die kleine, ein maj7 für die große Septime. Die – zugegebenermaßen selten vorkommende – verminderte Septime wird zumeist nicht durch die Akkordsymbolschrift beschrieben.
Ist also in einem Sheet z. B. ein Ddim (ohne 7) notiert, denkt der klassisch ausgebildete Musiker primär an einen Dreiklang D-F-Ab, welcher in einer Vierklang-Welt sowohl ein Dmin7/b5 wie auch ein Ddim werden kann, wenn man die jeweilig passende Septime ergänzt. Und greift man hier aus Gewohnheit beim dim7 zur kleinen (b7) und nicht zur verminderten (bb7) Septime, wird aus dem verminderten Akkord ein halbverminderter. Nicht schlimm, aber eben auch nicht richtig.
Merke: Die Ergänzung „7“ bei z. B. einem D07 bedeutet nur, selbigen Akkord als Vierklang und nicht als Dreiklang zu spielen, dennoch mit der vorgegebenen Struktur b3+b3+b3, also 1+b3+b5+bb7!
Jazzgitarristen, die wie bereits beschrieben zumeist immer die Vierklangversionen der notierten Akkorde spielen, geraten hier seltener ins Straucheln als Musiker, die auch mit Dreiklängen arbeiten, wie es in der Klassik oder auch im Pop und Rock der Fall ist.
Viel Spaß beim Spielen, bleibt gesund, Euer Gige
Gige Brunner
Gige (Gerhard Brunner) ist Fingerstyle-Jazzer mit ausgeprägtem Hang zur Harmonielehre. Er schreibt Bücher, arrangiert Musik und ist auf vielen Bühnen unterwegs.