Hannes Wader: Heute hier morgen dort

Unter manchen Gitarrist:innen haben โ€žLagerfeuerliederโ€œ einen schlechten Ruf. Zu einfach, zu simpel gestrickt. Wenn jeder mitjohlt kann, dann kann das keine Kunst sein! Dabei besteht die Kunst genau darin: Mit einfacher Sprache Menschen berรผhren und mit eingรคngigen Melodien und Harmonien das Lied auch fรผr den Hobbygitarristen spielbar zu machen.

Beispiele, die sich รผber die Jahre als echte Lagerfeuerklassiker gehalten haben, sind das in diesem Blog schon beschriebene โ€žรœber den Wolkenโ€œ, โ€žCountry Roadsโ€œ von John Denver, โ€žBlowing in the windโ€œ von Bob Dylan und โ€žHeute hier – morgen dortโ€œ von Hannes Wader. Gerade letzterer hat mit dem Etikett โ€žLieder fรผrs Volkโ€œ gar kein Problem. Im Gegenteil, er will das bewusst zu seiner Kunst machen. Die Nรคhe zur Umgangs- und Alltagssprache, aber dabei jede Schlagerhaftigkeit vermeiden ist sein Mantra.

Nicht wie Reinhardt und doch zusammen

Waders musikalische Karriere beginnt mit Jazz. Er spielt Klarinette und Saxofon in verschiedenen Bands. Als er jedoch die Lieder von George Brassens und Bob Dylan hรถrt, nehmen seine musikalischen Interessen einen komplett anderen Verlauf. Neue Lieder mit deutschen Texten nach dem Vorbild von Brassens und Dylan ist sein Traum. Nach seiner Lehrzeit lernt er Mandoline und Gitarre. Die Motivation der Anfรคnge beschreibt er mit einem fรผr Gitarristen hรคufig sehr gelรคufigen Grund: โ€žIch wollte singen und damit an Mรคdchen rankommenโ€œ. Aus seinem Job als Dekorateur wird er wegen โ€žUnfรคhigkeit, Streitsucht und Musizierens wรคhrend der Arbeitszeitโ€œ hinausgeworfen.

Bekannt wurde Hannes Wader durch seinen Auftritt Pfingsten 1966 zum Festival auf der Burg Waldeck. Hier traf sich die westdeutsche Folkszene, hier lernte er Reinhard Mey kennen. Mit ihm tourt er in Meys VW-Kรคfer durch Deutschland. Jeder hatte ein โ€žhalbes Repertoireโ€œ, die eigenen Lieder reichten nicht fรผr einen Soloabend. Da lag es nahe, sich zusammenzutun. โ€žEs war wie ein Spaziergang durch die Bundesrepublikโ€œ, sagt Wader. Dem Arbeitersohn Wader gelingt der Durchbruch. Er wurde fester Bestandteil der West-Berliner Folkszene.

Erst nach dem Ende der 68-er Bewegung schrieb er politische Lieder und wurde schnell zum Star der links-alternativen Szene. Die Ratschlรคge seiner Mutter โ€ž..es doch so wie der Reinhard (Mey) zu machen. Der komme รผberall gut an.โ€œ schlug er damit in den Wind. Seine Texte waren provozierender, zynischer und manchmal auch schmerzhaft wahrhaftig. In โ€žAnkes-Bioladenโ€œ zerlegt er beispielsweise sarkastisch die 80er-Jahre SpieรŸigkeit der โ€žAlternativ-Bewegungโ€œ. Politisch positioniert er sich links und tritt in die DKP ein.

Herr Wader will die Welt nicht verbessern

Die Journalistenfrage โ€žWollen Sie mit ihren Liedern die Welt verรคndern?โ€œ ist gleichermaรŸen dรผmmlich wie in den 60er-Jahren oft wiederholt. Hannes Wader hat sie immer mit โ€žNeinโ€œ beantwortet. โ€žAls ich angefangen habe, wollte ich nur singen โ€“ nicht irgendeine ScheiรŸwelt verbessern. Zu den politischen Songs bin ich in gewisser Weise gezwungen worden โ€“ von auรŸen, vom, sagen wir es ruhig so, vom Zeitgeist.โ€œ

In der RAF-Zeit gerรคt Wader in den Fokus staatlicher Ermittlungen. Wรคhrend einer langen Urlaubsreise รผberlรคsst er seine Wohnung fรผr einige Monate der angeblichen NDR-Reporterin Hella Utesch. In Wahrheit war โ€žHella Uteschโ€œ jedoch der Deckname von Gudrun Ensslin. Diese benutzte Waders Wohnung als Hauptquartier und fรผhrte dort Experimente mit Sprengstoff durch. Wader wurde nach einem Konzert verhaftet und in der Folgezeit observiert und abgehรถrt. Das Ermittlungsverfahren wegen Unterstรผtzung einer kriminellen Vereinigung wurde erst nach Jahren eingestellt. Wader wurde von Medien und Veranstaltern vorverurteilt und gemieden. Musikerkollegen wie Reinhard Mey zeigten sich jedoch solidarisch und machten das โ€žHerr Wader – Sie nicht!โ€œ bei gemeinsamen Auftritten nicht mit.

โ€žDas hat mir schwer zugesetztโ€œ, sagt Wader รผber diese Zeit. โ€žIch habe nur noch geraucht und Schnaps getrunken. Davon habe ich gelebt. Und ich habe gesungen. Das Singen hat mich auch gerettet.โ€œ

Hannes Wader hat diese Zeit bestanden. Er bekam einen Echo und einen Preis des Folkfestivals Rudolstadt fรผr sein Lebenswerk. โ€žNoch hier – was ich noch singen wollteโ€œ heiรŸt seine aktuelle, im Jahr 2022 verรถffentlichte CD.

Heute hier morgen dort

1972 erschien auf dem Album โ€ž7 Liederโ€œ erstmals โ€žHeute hier, morgen dortโ€œ. Die Melodievorlage stammt von dem amerikanischen Studenten Gary Bolstad. Dieser bekam, als er nach Jahrzehnten ausfindig gemacht werden konnte, eine erfreuliche Zahlung der deutschen GEMA.

Der Text von โ€žHeute hier, morgen dortโ€œ ist sprachlich unverkrampft, beschreibt die Sehnsucht eines unsteten Lebens und die schweren Trรคume und Zerrissenheit, weil es nichts Bleibendes gibt. Was fรผr eine frรผh ersonnene Metapher auf das eigene Leben! Wader begann seine Konzerte bis auf eine kleine Unterbrechung immer mit diesem Lied. Auch das zeigt die innere Verbundenheit mit diesem Song.

Auf seiner Homepage schreibt Wader: โ€žJe รคlter ich werde, desto klarer wird mir, dass ich Zeit meines Lebens fast nichts anderes getan habe, als zu versuchen meine Jugendtrรคume zu realisieren.โ€œ Und im Lied heiรŸt es: โ€ž.. vielleicht bleibt mein Gesicht noch dem ein oder anderem im Sinn.โ€œ Das Lied jedenfalls wird weiter im Sinn bleiben als textliches Kleinod, als Ausdruck eines Lebensgefรผhls und als schรถne eingรคngige Melodie. Und es wird weiter am Lagerfeuer gesungen werden.

Hier eine Liveaufnahme auf SchloรŸ Banz mit einer schรถnen Einfรผhrung von Reinhardt Mey:

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