Liebe Leser von gitarre.blog,
das mit dem Blues ist so eine Sache. Den hat man oder eben nicht. Sagen nicht zu wenige. Und kriegen kann man ihn auch nicht, wenn man nicht irgendwo in der Nähe des Mississippi-Deltas geboren ist. Blues kann man im Gegensatz zum Jazz auch nicht an einer Hochschule studieren. Das Problem dabei ist, dass der Blues zwar ein essenzieller Teil des Jazz ist, dennoch bei allen, die sich dieser großartigen Musik hingeben wollen, ebenso wie die rudimentäre Kenntnis abendländischer Harmonielehre prinzipiell vorausgesetzt wird. Gerade der Einsteiger bekommt bei der schüchternen Nachfrage, was an dieser oder jenen Stelle eines Jazzstandards im Solo zu spielen sei, die gut gemeinte, aber nicht wirklich hilfreiche Auskunft: „Einfach Blues!“ Die meisten trauen sich ab dieser Stelle dann nicht mehr, genauer nachzufragen.
Bluenotes zwischen den notierten Intervallen
Nun, im fortgeschrittenen Musiker-Alter sind mir derlei Konventionen zunehmend egal. Wenn wir also schon nicht „den Blues an sich tot-analysieren“ dürfen (auch so ein Allgemeinplätzchen), so können wir uns doch zumindest die für den Blues charakteristischen Töne, die sogenannten Bluenotes und daraus resultierend die Bluesskala, etwas genauer anschauen. Enthält die Dur- und Moll-Pentatonik ausschließlich Tonmaterial, das diatonisch (leitereigen) ist, kommen bei der Blues-Tonleiter Töne hinzu, die in der Harmonik der abendländischen Musik so nicht vorkommen. Schon bei der Festlegung, welche Noten die Bluenotes eigentlich genau sind, beginnt die allgemeine Verwirrung.
Zunächst einmal sei festgehalten, dass sich alle drei Bluenotes zwischen den markierten Intervallen befinden, nicht exakt darauf. So sind die Bluenotes zum Beispiel durch die menschliche Stimme oder eine Posaune erzeugbar, durch Bending (Ziehen der Saite) auch auf der Gitarre, nicht aber auf dem Klavier. Dort behilft man sich, indem man die eine Bluenote umgebenden Töne gleichzeitig oder nacheinander („Triller“) spielt.
Für uns Gitarristen ist es gar nicht schwierig, sich die Bluenotes herzuleiten. Gerade am Anfang unserer Gitarristen-Laufbahn arbeiten wir erfahrungsgemäß viel mit der A-Moll-Pentatonik (die ihre Töne natürlich aus der C-Dur-Pentatonik bezieht) in der V. Lage:
Zusätzliche Töne in der A-Moll-Pentatonik
Zunächst müssen wir die Bluenotes zu exakten Intervallen machen, da wir sie sonst nicht vernünftig notieren und (zumindest auf fest intonierten Instrumenten, siehe oben) auch nicht spielen könnten. Wir fügen für die Bluenotes zwischen b3-3 und b7-7 einfach das jeweilige obere Intervall der Zwischennote sowie den Tritonus b5 als zusätzlichen Ton in unsere A-Moll-Pentatonik ein und das bei allen Saiten:
Habt Ihr es bemerkt? Egal an welchem oberen Ton auf der G-, H- oder E-Saite Ihr zieht, Ihr gelangt stets zu einer der drei Bluenotes.
Diese Skala (A-Moll-Blues mit allen drei Bluenotes) hat schon in Teilen chromatische Züge und ist derart vollgepackt gar nicht leicht einzusetzen. Obwohl wir ja die Töne der A-Moll-Pentatonik aus der C-Dur-Tonleiter entnommen haben, ist die Sicht- und Schreibweise der Bluenotes auf den Ton A bezogen. Nicht nur deshalb ist es keine gute Idee, nun einfach alle vorgestellten Bluenotes in die C-Dur-Pentatonik einzutragen und dies dann C-Bluesskala zu nennen. Die entstehende Tonleiter hätte dann schon 5 + 3 = 8 Töne ohne Oktave. Durch das Einzeichnen der Bluenotes (bzw. ihrer Annäherungen) in eine auf einer Notenzeile geschriebene C-Pentatonik wird eher Verwirrung als Klarheit geschaffen. In der Literatur findet man zwar häufig die drei beschriebenen Bluenotes, jedoch inkonsequenterweise dann nur Bluesskalen mit ein oder zwei Bluenotes. Wir brauchen nun aber eine praktikable Lösung!
Im am meisten verbreiteten Sprachgebrauch unter Musikern spricht man bei der nur um eine Bluenote (die auf der b5) erweiterten A-Moll-Pentatonik von der A-Bluesskala, ohne die Angabe von Dur oder Moll. „A-Blues“ meint also zumeist dieses:
Diese Skala kann nun über
● Blues in A-Moll
● Blues in A-Dur(7)
● Blues in C-Dur(7)
gespielt werden. A-Moll leuchtet sofort ein, da alle Töne bis auf die b5 der A-Moll-Pentatonik entnommen sind. Beim Blues über A7 entsteht die vorgestellte zweite Bluenote auf der 3 (großen Terz) durch den Zusammenklang der b3 in der Skala mit der 3 in der Begleitung. Zudem dürft Ihr in diesem Fall gerne die große Terz (C#) der Bluesskala hinzufügen, zumindest während des Grundakkords A7.
Blues hat man – oder eben nicht?
Warum funktioniert aber die A-Bluesskala auch über C-Dur(7)-Blues (C7 – F7 – G7)? Wobei dies zugegebenermaßen eher nach Country, denn nach Blues klingt. Nun, der Ton Eb, in A-Moll die b5, wird in C-Dur zur b3, erzeugt also in C-Dur wiederum eine, wenn auch andere Bluenote.
Blues wird es natürlich erst, wenn wir die Bluenotes dann tatsächlich an der richtigen Stelle mit dem richtigen Sound spielen. Aber wie bereits festgestellt, den Blues hat man oder eben nicht. Sagen nicht zu wenige…
Viel Spaß beim Blues-Spielen! Bleibt gesund – Euer Gige
Gige Brunner
Gige (Gerhard Brunner) ist Fingerstyle-Jazzer mit ausgeprägtem Hang zur Harmonielehre. Er schreibt Bücher, arrangiert Musik und ist auf vielen Bühnen unterwegs.